Die „Fake News“-Debatte, die mit Donald Trump in den USA Aufschwung bekam, rückt die Konzepte von Lüge und Wahrheit in den Vordergrund. Während in der Wissenschaft schon immer über den Wahrheitsgehalt von Informationen diskutiert wurde, hat diese Praxis im Journalismus seit einigen Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Vermutlich wurde die Objektivität der gesamten Medien bisher selten so in Frage gestellt wie heutzutage.
In Deutschland liegt gleichzeitig das etwas mehr als ein Jahrhundert alte Schlagwort „Lügenpresse“ wieder auf den Lippen wütender Menschen. Der Begriff entstand etwa Mitte des 19. Jahrhunderts und diente im ersten Weltkrieg und im Nationalsozialismus dazu, kritische Medien, wie zum Beispiel die der Kriegsgegner, zu entwerten. Handelt es sich im Fall von Fake News um „Lügen“, die als Wahrheiten verkauft werden, kann man im Fall von Lügenpresse von „Wahrheiten“ sprechen, die wiederum zur Lüge erklärt werden. Trump vermischt beides, wenn er jahrzehntelange etablierte Nachrichtensender wie CNN mit dem Spruch „you’re fake news“ konfrontiert.
Der Duden definiert Fake News als Falschmeldungen mit manipulativer Absicht, die in den Medien und im Internet, besonders in den Social Media, verbreitet werden. Weshalb haben aber beliebige und erfundene Nachrichten solch einen Erfolg und warum glaubt man im Alltag manchen Menschen oder Medien etwas, das von vorneherein ziemlich unwahr(scheinlich) klingt?
Ob man glaubt, was jemand sagt, hänge oft mit der Lust und dem Willen, etwas glauben zu wollen, zusammen: „Manche Lügen möchten wir einfach für wahr halten, denn die meisten Menschen haben vor einer Wahrheit mehr Angst als vor einer Lüge“, schreibt der Autor Jorge Bucay in seinem Buch „Komm ich erzähl dir eine Geschichte“.
Vorsicht mit „overblocking“
Viele Institutionen und Personen suchen nach Lösungen, um die Fake News-Problematik zu entschärfen. In Deutschland wurde dieses Jahr im Juni das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ verabschiedet. Dieses Gesetz verpflichtet Betreiber sozialer Netzwerke „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden zu löschen.
Doch eine solche Maßnahme könnte für die Demokratie gefährlich sein, denn in vielen Diktaturen werden ähnliche Gesetze als Strategie für die Einschränkung der Meinungsfreiheit verwendet. Man spricht hier von potenziellem „overblocking“. Dies ist der Fall, wenn IP-Adressen unnötig gesperrt und somit legitime Inhalte meistens durch staatliche Behörden beseitigt werden. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz könnten private Unternehmen wie Facebook, Twitter oder Youtube, aus Angst vor Bußgeldern zu viele – und damit auch rechtmäßige – Beiträge löschen und somit eigenmächtig entscheiden, welche Inhalte als rechtswidrig gelten.
Bei erfundenen Nachrichten wird es allerdings dann problematisch, wenn konkrete politische Interessen hinter einem Fake-post stehen. Das ließ sich beispielsweise im Fall des Las Vegas-Attentats beobachten, als einige Medien behaupteten, dass der Schütze Islamist sei. Zum einen sehen sich Trump und seine Anhänger durch solche Schlagzeilen in der Einwanderungspolitik der USA bestätigt, zum anderen lenkt diese erfundene Nachricht vom tatsächlichen Problem des viel zu liberalen Waffenrechts der USA ab.
Lügen sind nicht wegzudenken
Allerdings sind Lügen kaum aus unserem alltäglichen Leben wegzudenken. Sie helfen uns, unser Leben zu bewältigen. So gibt es nicht nur schädliche Lügen, sondern ein ganzes Spektrum an Lügen. Die soziale Lüge, die Notlüge, die Zwecklüge, die Ausrede … Manche davon sind ethisch gesehen womöglich nicht einmal verwerflich. Wenn Lügen jemand anderem guttun, sind sie dann nicht vertretbar? Manchmal kann es auch von Vorteil sein, nicht die ganze Wahrheit zu kennen, wie in Bucays Geschichte vom Wahrheitsladen.
Ein Mann bleibt verblüfft vor einem Wahrheitsladen stehen und geht hinein. Die Verkäuferin fragt, ob er die halbe Wahrheit, die relative Wahrheit, die statistische Wahrheit oder die ganze Wahrheit suche. Der Mann entscheidet sich nach kurzem Überlegen für die reine Wahrheit, denn er ist all die Lügen und Falschheiten leid.
„Verzeihen Sie mein Herr, aber kennen Sie den Preis?“, antwortet die Verkäuferin.
„Nein. Wie teuer ist sie denn?“, obwohl er weiß, dass er jeden Preis für die ganze Wahrheit zahlen würde.
„Wenn Sie sie gleich mitnehmen, ist der Preis, dass sie nie wieder in Frieden leben werden“.
Der Mann erschrickt und verlässt das Geschäft. Ihm wird langsam bewusst, dass er noch nicht für die absolute Wahrheit bereit ist.
Wenn „Unwahrheiten“ realer werden
Leonie Rösner, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Sozialpsychologie an der Uni Duisburg-Essen, weist in einem Interview darauf hin, dass schon allein beim wiederholten Hören einer Fake-Nachricht – obwohl wir sie für absurd halten – diese weiter in unsere Welt hineinrutscht, präsenter und dadurch realer wird. Dies deckt sich mit der Annahme, dass unser Gehirn grundsätzlich keine Negationen verarbeiten kann. Zum Beispiel entsteht bei der Aufforderung „denk nicht an einen rosa Donald Trump“ unwillkürlich genau dieses Bild im Kopf. Selbst wenn wir eine Nachricht, die wir lesen, als „falsch“ einordnen, setzt sich deren Informationsgehalt trotzdem in unserem Gedächtnis fest.
Dabei gelangt meist überhaupt nur das in unser Wahrnehmungsfeld, was in unser Weltbild hineinpasst. Viele Menschen lehnen bestimmte Nachrichtenquellen von vorneherein ab und lesen ihre Artikel grundsätzlich nicht, weil sie diese für „Fake News“ oder „Lügenpresse“ halten. Um das eigene Weltbild bestätigt zu sehen, suchen wir lange in unserer Umgebung und lassen alles, was es zerstören könnte, durch ein Raster fallen. So funktioniert Wahrnehmung: Sie ist eine einzige zirkuläre Bestätigung unserer bereits konstruierten Realität. Beim Lesen von Nachrichten suchen wir uns die Informationen aus, die uns am besten passen und ignorieren jene, die unsere Werte und Normen verletzen.
Die Anzahl der vielen Fake News, die im Internet kursieren, ist erstaunlich.
Aber noch beunruhigender ist die Menge der Menschen, denen diese Nachrichten offensichtlich guttun und die bereit sind, sie zu glauben.