Warum junge Menschen in der Pandemie mehr Alkohol trinken
Anderthalb Jahre ohne Partys und doch wurde mehr getrunken. Wie hat die Corona-Pandemie unser Trinkverhalten beeinflusst? Wie ist diese Entwicklung zu bewerten? Und wie ist das eigentlich, wenn man überhaupt nicht trinkt? Wir haben mit jungen Menschen und mit Suchtexperten gesprochen.
Alkoholkonsum in der Pandemie: Und was trinkst du?
Ein mittlerweile wieder normaler Anblick des Freiburger Seeparks an einem Sommerabend. Alle sind am Feiern und auch der Alkohol fließt. Es scheint fast so, als wäre Corona nie gewesen. Oder doch? Wie hat sich das Verhältnis der Studierenden gegenüber Alkohol während der Corona-Pandemie verändert?
Scheinheiliger Stresslöser
Das Bier mit Freunden, der Cocktail im Club, der Wein beim Italiener – auf all das mussten Studierende in den vergangenen eineinhalb Jahren verzichten. Doch obwohl Zapfhähne stillstanden, trank jeder achte 16- bis 29-Jährige laut einer Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse seit Ausbruch der Pandemie mehr Alkohol. Experten erklären, wie Alkoholabhängigkeit entsteht und warum Menschen in Krisen eher zur Flasche greifen.
Etwa ein Drittel der Deutschen trinkt seit dem Lockdown mehr Alkohol, schätzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Joachim Blank, Leiter der Fachstelle Sucht aus Emmendingen, sieht einen Zusammenhang zwischen den Folgen der Pandemie und Promille: „Alkohol hat großen Einfluss auf den emotionalen Zustand. In Zeiten von immensen Einschränkungen im privaten und öffentlichen Leben haben viele junge Menschen mit Einsamkeit, Frust und Perspektivlosigkeit zu kämpfen.“ Insbesondere bei Personen mit psychischen Vorerkrankungen habe die Pandemie Nöte vergrößert. Das könne zu gesteigertem Konsumverhalten führen.
Bis sich eine Abhängigkeit entwickelt, können viele Jahre vergehen. Thomas Hodel, Leiter der Freiburger Suchtberatung, unterscheidet bei Alkohol zwischen „risikoarmen Konsum, der keine großen gesundheitlichen Schäden mit sich bringt.“ Betroffen sei, wer mindestens zwei aufeinanderfolgende Tage ohne Alkohol auskommt und pro Tag nicht mehr als einen halben Liter Bier oder einen Viertelliter Wein trinkt. Bei Frauen liegen diese Werte bei der Hälfte.
Werden diese Werte über mehrere Jahre überschritten, komme es zu „schädlichem und missbräuchlichem Konsum“. Getrunken werde auch in Situationen, in denen Alkohol gar nicht passt, wie am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr. Wenn trotz auftretender Schäden weiter getrunken wird, könne es zur Abhängigkeit kommen. „Wenn das Trinken nicht mehr dem Genuss dient, sondern in Verbindung mit Gefühlslagen wie Einsamkeit, Frust oder Stress steht, wird es gefährlich“, so Hodel.
Schließlich verknüpfe das Gehirn Alkohol mit Emotionen: Beim Betroffenen entstehe ein „Saufdruck“ sowie die Angst, sich schwierigen Situationen zu stellen. Daraus entstehe der Drang, immer mehr zu trinken. Wegen der resultierenden Gewöhnung werde die Dosis langfristig gesteigert. „Die körperliche Abhängigkeit zeigt sich vor allem beim Absetzen der Droge: Es kommt zu Entzugserscheinungen, wie Zittern oder Schlafstörungen. Beim Betroffenen entsteht zusätzlich der Eindruck, dass weitergetrunken werden muss“, sagt Hodel.
Alkohol bekomme einen immer größeren Stellenwert, andere Lebensbereiche treten in den Hintergrund. Häufig sei zu beobachten, dass sich Angehörige von Betroffenen distanzieren. Und auch viele Suchtkranke reagieren mit Rückzug: „Im Laufe der Zeit kommen deswegen nicht selten weitere psychische Krankheiten hinzu.“
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt, dass Alkohol in der Pandemie weniger aus Geselligkeit, sondern häufiger in Isolation und zum Stressabbau konsumiert wird. Laut Hodel ist noch nicht klar, ob der allgemeine Alkoholkonsum in Deutschland nach der Pandemie wieder zu den alten Mustern zurückkehrt. Der Experte vermutet, dass ein Großteil der Bevölkerung nach der Pandemie zu einem geregelten Trinkverhalten zurückkehrt. Es werde aber auch jene geben, für die das neuerliche Glas Wein weiterhin dazugehörten wird. Laut OECD-Bericht lassen frühere Krisen zumindest vermuten, dass problematischer Alkoholkonsum bald zunehmen könnte.
„Generell finde ich es seltsam, dass ich als eine Person, die etwas nicht konsumiert, mich dafür ständig rechtfertigen muss.“
Seit einem Jahr wohnt Hannah in Leipzig und kann an der Hand abzählen, wie oft sie Alkohol probiert hat. Eigentlich nie! Wie fühlt sie sich, wenn alle um einen herum zum Sektglas, Bier und Wodka greifen? Was geht ihr durch den Kopf, wenn sich Freundinnen und Freunde plötzlich nicht mehr unter Kontrolle haben und wie geht sie damit um?
Eine Gemeinschaftsproduktion von Luisa Heining, Lilly Zundel und Naomi Augustin im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft.
Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Karsten Kurowski, Philip Thomas
Verdacht auf Alkoholabhängigkeit bei einem Bekannten?
Die Suchtberater Joachim Blank und Thomas Hodel raten: Tritt bei einem Freund, Mitbewohner oder Familienmitglied häufiger Alkoholkonsum auf, ist Feingefühl gefragt. Wichtig sei, die eigenen Beobachtungen anzusprechen. Dabei sollte der Konsum des anderen jedoch nicht gedeutet oder „Abhängigkeit“ genannt werden. Auch Belehrungen führen in der Regel zu Abblocken.
Es komme darauf an, den passenden Moment aussuchen und einen interessierten Eindruck vermitteln. Offene Fragen wie „Was gibt dir das Trinken eigentlich?“ oder „Wie geht es dir dabei?“ seien ein guter Einstieg. Um das eigene Trinkverhalten zu reflektieren, schade Kontakt zu einer Suchtstelle nicht.
Anlaufstellen
Suchtberatung Freiburg, AGJ Fachverband für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg e.V.:
– suchtberatung-freiburg.de
– 0761-2076213
– suchtberatung-freiburg@sgj-freiburg.de
Fachstelle Sucht Emmendingen, Baden-Württembergischer Landesverbands für Prävention und Rehabilitation GmbH
– bw.lv.de
– 07641-9335890
– fs-emmendingen@bw-lv.de
Weitere Informationen:
„Alkohol! Kenn dein Limit“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
– kenn-dein-limit.de