Was die Ampel für Studierende plant
Unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ will die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP Deutschland modernisieren. Josephine hat den Freiburger Politikwissenschaftler Thomas Waldvogel gefragt, was für junge Menschen im Koalitionsvertrag vorgesehen ist – vom Klimaschutz über BAföG-Reformen bis zur Legalisierung von Cannabis.
Hallo Herr Waldvogel, mit den Grünen und der FDP sind die beiden Parteien in der Regierung, die vor allem von jungen Menschen gewählt wurden. Was hat junge Leute dazu bewegt, diese beiden Parteien zu wählen?
Beide Parteien haben eine lange Tradition, dass sie relativ stark bei den jungen Wähler*innen sind und auch von den sozialstrukturellen Eigenschaften eine relativ ähnliche Wählerklientel haben. Aber thematisch spielen bei den Grünen vor allem die Fragen nach Klimaschutz und sozial-ökologischer Transformation allgemein eine Rolle. Bei der FDP war für junge Leute die Freiheitsposition im Hinblick auf Corona wichtig. Jüngere Wähler*innen, die ja in besonderer Weise von den Einschränkungen betroffen waren und nicht so eine starke Lobby hatten, sahen sich von der FDP vertreten.
Insgesamt kann man sagen, dass gesellschaftspolitische Themen von beiden Parteien sehr modern und freiheitlich gehandhabt werden und das für junge Menschen interessant ist. Die klassischen sozioökonomischen Fragen, zum Beispiel nach Sicherheit, sprechen junge Leute dagegen nicht so stark an.
Um das wichtigste Thema im Wahlkampf anzusprechen: Was steht zum Klimaschutz im Koalitionsvertrag?
Das neue Narrativ für den Koalitionsvertrag ist, dass die Entscheidungen nicht nur für die nächsten vier Jahre, sondern eher für die nächsten zwei bis drei Dekaden prägend sein werden. Es geht also um Zukunftsvisionen, wie schon der Titel sagt: Mehr Fortschritt wagen. Das Klima zieht sich als Querschnittsthema durch alles, also zum Beispiel durch die Finanzen und selbst in der Außenpolitik spielt es eine Rolle.
Die großen Ziele sind die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 und den Kohleausstieg „idealerweise bis 2030“ zu erreichen – das wurde ein bisschen schwammig gehalten. Neu ist, dass jedes Ministerium in Zukunft seine Gesetzesvorhaben auf Klimaneutralität prüfen muss. Das ist der Klima-Check. Was die Emotionen im Autoland Baden-Württemberg immer hochschlagen lässt, sind die Verbrennungsmotoren. Ab 2035 sollen keine neuen mehr zugelassen werden. Überraschend war, dass es kein Tempolimit geben wird. Das hätte ich im Vorhinein anders erwartet. Die Schiene soll stark ausgebaut werden und Kurzstreckenflüge nicht verboten, aber dadurch überflüssig gemacht werden.
Da gab es viel Einigkeit, aber natürlich auch Uneinigkeit, wenn man sich die einzelnen Koalitionspartner anschaut.
Wie realistisch ist die Umsetzung der Pläne?
Da wird es wirklich auf die einzelnen Maßnahmen ankommen. Es gibt auch einen Unterschied zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen, deswegen lässt sich das global nicht beantworten. Als Indiz kann aber der Aktivitätsgrad der zuständigen Personen dienen und im Bereich Klimaschutz können wir sehen, dass Robert Habeck mit seinem Superministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schon große Ankündigungen gemacht hat. Zur Taxonomie der EU, also dem Vorhaben, Kernenergie und Erdgas als grün zu klassifizieren, hat er klare Ansagen gemacht, indem er die Pläne als „falsch“ bezeichnet hat. Außerdem soll es bis April eine Erneuerung des Erneuerbare Energien Gesetz geben.
Ein zweiter Punkt ist die Digitalisierung. Welche Pläne gibt es da?
Ein großes Thema sind da immer infrastrukturelle Maßnahmen, also den Ausbau von schnellem Internet zu ermöglichen. Sowohl in der Breite als auch in der Fläche und nicht nur im privaten Bereich, sondern auch in der Wirtschaft. Der FDP ist auch die Förderung von Start-Ups besonders wichtig, um den Technologiestandort Deutschland weiter zu stärken. Eine andere Frage, die man im Blick behalten muss, ist der Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre im Internet. Das muss dann auch EU-rechtskonform umgesetzt werden. Da steckt der Teufel im Detail und das in Gesetzesform zu gießen, ist natürlich eine Herausforderung.
Äquivalent zum Klimacheck soll es auch einen Digitalisierungscheck für alle Gesetze geben. Das Digitalisierungsbudget soll ausgeweitet werden und die Forschung soll zum Beispiel im Bereich künstliche Intelligenz und 5G gefördert werden. Die Grünen möchten auch im Blick behalten, wer da gefördert wird. Projekte sind nicht automatisch unterstützenswert, weil sie digital sind, sie sollen auch nachhaltig sein.
Was ändert sich konkret für Studierende?
Bildung ist natürlich immer Ländersache, aber dennoch gibt es da gewisse Gestaltungsmöglichkeiten vom Bund. Das eine ist zum Beispiel das BAföG, das reformiert und unabhängiger werden soll. Da sollen die Altersgrenzen erhöht werden, genauso wie die Freibeträge und die Bedarfssätze. Der Studienwechsel soll erleichtert, die Förderhöchstdauer verlängert und das zinsfreie BAföG für alle geöffnet werden. Da gibt es ganz viele Stellschrauben, an denen zugunsten der Studierenden gedreht werden soll. Die Bearbeitung über die Verwaltung soll auch effizienter und schneller werden. Man sieht im Koalitionsvertrag, dass das gut durchdacht und schon für 2022 geplant ist. Ein anderer finanzieller Aspekt, der für Studierende interessant sein könnte, ist die Erhöhung der Minijobgrenze auf 525 Euro im Monat.
Des Weiteren soll die Gründungskultur aus der Hochschule heraus gestärkt werden, mit Schwerpunkt auf technologischen und auch sozialen Aspekten. Dass genau diese beiden Bereiche im Fokus stehen, passt natürlich zur Farbe der Koalition. Außerdem soll die digitale Lehre mit dem Bundesprogramm „Digitale Hochschule“ gestärkt werden, das innovative Lehre, Infrastruktur und Cybersicherheit sichern soll. Auch Erasmus Plus soll ausgebaut werden und digital ermöglicht werden. Außerdem soll die Hinwendung zu Asien und insbesondere zu China ausgeweitet werden.
Schon während der Koalitionsverhandlungen war ein Thema besonders präsent in den Medien: die Legalisierung von Cannabis. Was steht jetzt im Koalitionsvertrag?
Die Legalisierung von Cannabis soll kommen, konkret also die kontrollierte Abgabe an Erwachsene zu Genusszwecken und in lizensierten Geschäften. Das soll den Gesundheits- und Jugendschutz erhöhen, weil dann „gepanschte“ Stoffe nicht mehr so sehr in den Umlauf kommen. Das soll über Modellprojekte laufen.
Der zweite Aspekt neben der Legalisierung des Verkaufs ist die Entkriminalisierung des Besitzes. Die Frage ist da aber, wie das umgesetzt wird, weil es Ländersache ist, diese Geringstmengen zu definieren. Wie schnell die Legalisierung umgesetzt wird, kann ich nicht sagen.
Bereits angekündigt wurde, dass Paragraph 219a StGB abgeschafft werden soll. Wie handhabt die Ampel das Thema Schwangerschaftsabbruch generell?
Im Koalitionsvertrag steht: „Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die die Regulierung vom Schwangerschaftsabbruch, sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellenspende und die Abschaffung der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.“ Das finde ich noch etwas vage gehalten. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass Ärzt*innen öffentlich Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen sollen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Deshalb soll die Streichung von Paragraph 219a schon in den nächsten Wochen erfolgen.
Paragraph 218 wird aber bleiben. Das heißt Abtreibungen sind weiter eine Straftat, bleiben aber trotzdem straffrei. Die Grünen und die SPD würden das gerne streichen, aber in der FDP ist man der Meinung, dass die Straffreiheit reicht.
Thomas Waldvogel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Uni Freiburg. Außerdem ist er in der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg tätig.
Falls ihr euch die Pläne der Ampel-Koalition im Detail anschauen wollt, findet ihr hier den vollständigen Koalitionsvertrag.