Hallo Herr Peters, Sie sind Psychologe bei der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks. Was ist eigentlich Resilienz?
Resilienz ist die Fähigkeit, mit Situationen umzugehen, die belastend sind und die unerwartet kommen und eine Veränderung nötig machen. Das heißt, Sie können nicht mehr unter unveränderten Bedingungen weitermachen, sondern müssen irgendwas an ihrem Verhalten ändern, um sich zu schützen.
Im Grunde genommen ist es wie ein Schritt zurücktreten, vom jetzigen Plan Abstand nehmen und sich nochmal neu zu sortieren. Es wird als eine Fähigkeit definiert und kann dazu beitragen die psychische Gesundheit beizubehalten.
Wie kann man mit Stress während des Schreibens der Bachelorarbeit am besten umgehen?
Zuallererst ist es wichtig zu wissen, dass Stress ganz normal ist. Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der so etwas schreibt, ohne das zu empfinden. Und ich würde sogar darauf wetten, dass es mindestens einmal in einer Bachelorarbeit eine Krise gibt. Dass Sie plötzlich den Eindruck haben, „ich habe das völlig falsch aufgezogen, ich weiß gar nicht, wie es weitergeht. Habe ich das überhaupt berücksichtigt oder wollte mein Betreuer etwas ganz anderes?“.
Das heißt, dass Sie Angst kriegen oder dass es stressig wird, ist noch keine Katastrophe. Das ist Teil des Prozesses. Und deswegen sind Sie in so einer Phase ganz stark dazu aufgerufen, für sich zu sorgen. Also, dass Sie nicht nur schreiben und vor dem Computer sitzen, sondern immer auch Dinge machen, die Ihnen guttun.
Planen Sie Ihre Tage so, dass Sie eine Zeit zum Lernen haben und eine Zeit zum Leben. Wenn Sie nur schreiben, dann sind Sie nach zwei Wochen in einer völligen Krise. Wenn Sie keine Freunde mehr sehen und Sie keinen Sport machen, wenn Sie sich nichts Gutes mehr gönnen. Wenn Sie aber Feierabend machen – egal wie viel Sie geschafft haben, können Sie ein Stück Abstand nehmen.
Hören Sie bloß nicht auf, die Dinge zu tun, die Ihnen guttun, die brauchen Sie insbesondere in dieser Zeit. Manchmal passiert es, dass so ein Eindruck entsteht „heute habe ich nicht mein Pensum geschafft also darf ich auch das nicht das Schöne machen, sondern muss bis zum Abend arbeiten“. Das ist eine Falle und geht in Richtung Disbalance. Sie brauchen immer etwas, das Ihnen hilft, sich wohl zu fühlen, auch wenn es stressig ist.
Das heißt, dieser Mythos eine bestimmte Seitenzahl pro Tag zu schreiben, ist nicht allgemeingültig?
Das ist ja am Ende nur ein Durchschnittswert. Sie können das von hinten so ausrechnen, dass Sie im Durchschnitt 20 Seiten am Tag geschrieben haben. Es gibt Tage, da recherchieren Sie mehr, da machen sie mehr Datenarbeit. Es gibt Tage, da quälen Sie sich an einer Seite, weil es sich um intensive Denkarbeit handelt und dann schreiben Sie am nächsten Tag 10 Seiten runter, weil Sie nur abarbeiten müssen. Es ist ja nicht immer das Gleiche in einer Bachelorarbeitsphase.
Egal was Sie in Ihrer Bachelorarbeit bearbeiten, irgendjemand hat schon mal etwas Ähnliches gemacht und kann einschätzen, wie lange man für die einzelnen Schritte ungefähr braucht. Machen Sie sich damit einen groben Fahrplan.
Gibt es Tipps oder Strategien, die man anwenden kann, wenn man während dem Prozess Angst oder Panik entwickelt?
Was immer hilft, sind Atemübungen. Wenn Sie im Stress sind, also zum Beispiel vor dem Computer oder vor einem Buch sitzen und in der Gedankenspirale „Ich verstehe es nicht, ich muss das aber verstehen …“ stecken, dann müssen Sie Pause machen. Sie müssen raus aus dieser Problem-Trance, in der Sie sind. Am besten stehen Sie auf, setzen sich woanders hin und machen Atemübungen und atmen ganz tief in den Bauch. Das sind Übungen, die auch bei Panikattacken helfen – Sie setzen sich gerade hin, atmen so ruhig wie möglich tief ins Zwerchfell und versuchen zu gucken, ob der Puls ein bisschen ruhiger wird. Das Problem bekommen Sie dadurch nicht gelöst, aber Sie können so den Stress ein bisschen runterfahren.
Was auch ganz hilfreich ist und was man auch in Abschlussarbeitsphasen anfangen kann zu üben, sind Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel die Progressive Muskelentspannung. Das können Sie zum Beispiel mit Hilfe von Youtube-Tutorials zehn Minuten am Tag machen. Das wird in Kliniken seit Jahrzehnten angewendet und damit kann man sich kurzfristig sehr effektiv regulieren. Damit haben Sie ein Werkzeug, das Sie auch kurz vor der Prüfung benutzen können, wenn Sie merken, dass die Angst kommt. Es gibt also ganz effektive Selbstregulationsmöglichkeiten. Wenn die Angst nicht zu groß ist, dann funktioniert das.
Wo kann ich mir Hilfe holen, wenn ich merke, dass die Angst zu groß ist und diese Übungen nicht mehr helfen?
Was immer gut ist: Erstmal eine Pause machen. Gehen Sie spazieren und gucken, ob das etwas verändert. Treffen Sie sich mit Leuten, reden Sie über die Angst. Wenn das nichts ändert, können Sie sich an die psychotherapeutische Beratungsstelle wenden. Wir gucken hier noch mal ganz individuell: Was ist das gerade für eine Angst? Warum kommt die gerade jetzt und was macht es so schwer, diese Gedanken loszulassen? Das kann im Einzelfall eine Bedeutung haben, dass das gerade jetzt kommt und sich so breitmachen kann. Manchmal hilft es, das zu verstehen. Damit allein zu bleiben, ist der schlechteste Weg.
Können positive Gedanken oder eine positive Einstellung auch Einfluss auf unser Stressempfinden haben?
Mit Sicherheit, aber das ist nichts, was Sie mit Selbstwertübungen vor dem Spiegel machen, sondern das hat mit der Beziehung zu sich selbst zu tun. Leute, die sich viel zutrauen, die glauben, dass sie Dinge schaffen, schaffen das auch. Leute, die eher an sich selber zweifeln, neigen auch dazu, mehr Angst vor Versagen zu haben.
Sowas wie Affirmationen, also kurze, positive Glaubenssätze, die man regelmäßig wiederholt, können auch einen Effekt oder Einfluss haben, aber es ist kein Schalter, den man einfach umlegen kann. Jeder muss für sich selbst ausprobieren, ob er daraus etwas für sich ziehen kann.
Wenn zum Beispiel eine gute Freundin sagt: „Guck mal, du hast doch das auch geschafft. Warum hast du jetzt so eine Angst?“, dann können Sie das auch als Affirmation für sich selber nehmen: „Ich habe das schon geschafft und ich kann das jetzt auch schaffen.“ Das kann dann auch tatsächlich beruhigen und einen Unterschied machen.
Viele Studierende haben in der Regel schon vorher Hausarbeiten und Klausuren geschrieben. Warum wird gerade die Bachelorarbeit von vielen als so ein großes Ereignis, so eine große Hürde wahrgenommen?
Abschlussarbeiten haben das generell an sich. Einerseits ist das eine größere Arbeit, als Sie bisher machen mussten und andererseits bedeutet sie nochmal etwas ganz anderes. Die Bachelorarbeit ist eine Hürde, wenn Sie ein Masterstudium machen wollen. In vielen Studiengängen gibt es weniger Masterplätze als Bachelorplätze, das heißt, da entsteht eine Konkurrenz oder ein Druck.
Auf der anderen Seite sind Abschlussarbeiten auch Übergangsphasen. Es endet etwas mit diesem bestimmten Übergangsritual, wobei Sie sich unter Beweis stellen und etwas von sich zeigen müssen. Das ist wie eine Art Prüfung des Erwachsenwerdens und kann genauso für eine Masterarbeit oder eine Doktorarbeit gelten, weil es sich auch da um einen Übergang in eine neue Phase handelt. Das kann auch Angst machen. Schaffe ich das? Was kommt danach? Es geht gar nicht nur ums Schreiben, sondern eher um das Existenzielle. Wie komme ich da durch, wie schaffe ich das? Wie geht’s mir damit, etwas zu bewältigen? Der Inhalt und wie die Note genau ist, das ist nicht das Existenzielle, das ist wirklich nur das Übungsfeld. Sie sollen ja nur unter Beweis stellen, dass sie wissenschaftlich arbeiten können. Man sollte seine Bachelorarbeit da nicht mit der inneren Entwicklungsaufgabe verwechseln.
Außerdem werden Sie diese Sache auch hinter sich lassen. Es wird später in der Regel nicht gefragt, was Sie geschrieben und was für eine Note Sie haben, außer Sie brauchen das für den Master oder wenn Sie sich mit dem Bachelor für eine Arbeit bewerben wollen. Die Bedeutung der Bachelorarbeit ist in dem Moment, in dem Sie drinstecken, viel größer, als es nachher sein wird.