„Beim konstruktiven Journalismus geht es darum, mehrere Konfliktparteien oder Meinungen zusammenzubringen, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu führen“, erklärt Alexander Karam vom Media Lab Bayern. Im Ableger der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien begann konstruktiver Journalismus als Forschungsprojekt und der Frage, wie „man in Konfliktregionen friedensfördernden Journalismus machen kann.“

Laut Lisa Urlbauer, Leiterin für journalistische Trainings am Bonn Institute, konzentriert sich konstruktiver Journalismus vor allem auf neue Perspektiven und Lösungen, nicht nur auf Probleme. Im Gegensatz zum „Feel-Good-Journalism“ werte der konstruktive Journalismus eine Nachricht nicht.

„Gute Nachrichten können Teil von konstruktiver Berichterstattung sein“, sagt sie. Konstruktiver Journalismus gehe allerdings einen Schritt weiter: Im herkömmlichen Journalismus seien gute Nachrichten kurze Erfolgsmeldungen. Im konstruktiven Journalismus gehe es auch um Nuancen und die Geschichte hinter dem Erfolg.

Genauso verarbeite konstruktiver Journalismus auch schlechte Nachrichten: „Häufig hören klassische journalistische Beiträge damit auf, dass ein Problem benannt wurde“, erklärt Urlbauer. Es gehe darum, den Blick zu weiten, statt nur den Status quo zu vermelden. „Wir schauen auch nach den Entwicklungen: Wo können wir noch hingehen, um darüber zu berichten?“, so Urlbauer.

Das Media Lab möchte laut Karam „bestehende Gräben überwinden“. Ein fertiger Artikel soll dazu bestimmte Kriterien erfüllen: „Er muss die Diversität des Dialogs abbilden. Er muss das Problem einmal konkret beschreiben und dann anhand der diversen Meinungen die Lösung entwickeln.“

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Feedback ist laut Karam und Urlbauer ein wichtiger Aspekt des konstruktiven Journalismus. Es sei wichtig, über neue Formate nachzudenken, neue Methoden zu finden und mit seinem Publikum in den Austausch zu kommen, so Urlbauer. Auch Feedback von Interviewpartner*innen ist etwa Karam wichtig. Daher gebe das Media Lab Bayern nach jedem Dialog einen Fragebogen an seine Gesprächspartner*innen aus.

An wen richtet sich konstruktiver Journalismus? Das Bonn Institute habe keine bestimmte Zielgruppe. Trotzdem lasse sich beobachten, dass sich besonders jüngere Zielgruppen eine konstruktive, lösungsorientiertere Berichterstattung wünschen. Zurückzuführen sei dies auf düster wirkende Zukunftsaussichten. „Wenn man erst Anfang 20 ist, wenn man sich über die Klimakrise Sorgen macht, gerade da gibt es große Wünsche danach, informiert zu werden. Wo funktioniert denn bereits was? Tun Menschen überhaupt was?“, erklärt Urlbauer.

Sie beobachtet eine gewisse Krisenmüdigkeit. Auch hier setzt das Bonn Institute an: Im Vorfeld der Europawahlen wurde beispielsweise ein Workshop zu konstruktiver Wahlberichterstattung gehalten, um zu zeigen, „dass man auch eine Art der Berichterstattung machen kann, die wirklich die Wähler*innen in den Fokus nimmt.“ Urlbauer betont: „Da ist eine konstruktive Berichterstattung sehr wichtig, damit man nicht die Hoffnung verliert.“

Einen konstruktiven journalistischen Beitrag zu produzieren, brauche aber mehr Zeit, erklärt Karam, sowohl mehr Recherche- als auch Nachbereitungsaufwand. Auch die wirtschaftliche Umsetzung sei schwieriger: „Der konstruktive Journalismus ist tiefgründiger, aber er ist auf den ersten Blick nicht so attraktiv wie dieser klassische Clickbait-Journalismus, wie er sonst häufig betrieben wird, weil er weniger emotionalisiert“, erläutert Karam.

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Klassische Berichterstattung ersetzen solle konstruktiver Journalismus allerdings nicht. „Er ist kein Heilsbringer für alle Themen. Wir brauchen Investigativjournalisten, um vor allem über die Dinge zu berichten, die wir noch nicht wissen. Wir brauchen Faktenchecker“, sagt Urlbauer. Diese könnten allerdings auch konstruktiv arbeiten.

Karam und Urlbauer berichten von positiven Rückmeldungen aus der Medienbranche. „Wir sehen, dass Impulse, die wir setzen, von anderen Medienhäusern umgesetzt werden.“ Laut Karam gewinnt konstruktiver Journalismus zunehmend an Bedeutung, „weil die Konflikte und Krisen der Welt in der Wahrnehmung der Menschen immer mehr und komplizierter werden und sich Kulturen immer mehr begegnen.“ Er plädiert dafür, konstruktive Beiträge künftig stärker in die klassische Berichterstattung zu integrieren.

Eine Gemeinschaftsproduktion von Hannah Striegel, Hanna Tränkle, Jennifer Ast, Wiebke Beutler, Fabian Dasinger und Emily Panov im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas.