Wie bereits zur Landtags- und Kommunalwahl hat das Kollektiv „We Talk Freiburg“ zur Bundestagswahl am 26. September ein Wahlevent der anderen Art zustande gebracht. Nach einem coronabedingten Online-Roast wurden die Geladenen von der Linken, SPD, Grünen, FDP und CDU endlich wieder unter Beteiligung eines Live-Publikums „gegrillt“.
Gleich zu Beginn steht die gewollt unbefangene Atmosphäre des Events auf der Kippe, als ein Witz zuungunsten des Freiburger CDU-Kandidaten die gewünschte Wirkung verfehlt: Dass sein Name nach Nazi-Erbe klinge, will Matern Christoph Cajetan Freiherr Marschall von Bieberstein nicht auf sich sitzen lassen. Er steht auf und droht, die Veranstaltung zu verlassen. Es folgt eine Entschuldigung und ein klares Bekenntnis der Veranstalter*innen gegen Rechts – doch eine gewisse Spannung bleibt.
Auch jenseits der Vorstellungsrunde sorgen viele Momente für Gelächter, Buhrufe und Fremdschämen. Von den Impulsen der Online-Zuschauer*innen geleitet manövrieren Moderator*innen Maya Rollberg und Jonathan Löffelbein ihre „Grillopfer“ gezielt in Situationen, in denen sie unter Zeitdruck um die Gunst des Publikums kämpfen müssen. Pauschalisierungen werden hierbei mit Konfettiwürfen bestraft, ausschweifende Reden durch Tonsignale abgewürgt.
Wie haben die Kandidierenden sich geschlagen? Eine Übersicht.
Tobias Pflüger, DIE LINKE
Das von den Veranstaltenden gewählte Einzugslied für den linken Abgeordneten: Die russische Nationalhymne. Er nimmt es gelassen, distanziert sich später von Putins Repressionspolitik. Insgesamt kommt er mit seinen Aussagen gut an, die Online-Umfragen sehen ihn sogar als stärksten Diskussionsteilnehmer – ganz im Gegensatz zur Freiburger Allgemeinheit, von der er in der Vergangenheit nicht mehr als 8% erreichen konnte. Den Porsche-Trotz der FDP-Kandidatin Raffelhüschen findet er peinlich, die Vorwürfe des CDU-Kandidaten zur Außenpolitik der Linken ungerecht. Einziges Fettnäpfchen: Als über ein Radiointerview mit einem AfD-Politiker gesprochen wird, beschwert sich Pflüger, dass DIE LINKE nicht eingeladen gewesen sei – war sie aber, wie ihm seine Nachbarinnen erklären. Ups!
Julia Söhne, SPD
„Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten“ ist das naheliegende Lied, welches für Julia Söhnes Einzug gewählt wurde. Im Laufe des Abends muss sie sich mehrfach dafür rechtfertigen, ihre guten Ambitionen ausgerechnet in der SPD durchsetzen zu wollen – „Kognitive Dissonanz“, so nennt es der Moderator. Julia Söhne gibt auch in Blitzrunden gerne ausführliche Antworten, hat Definitionen zu politischen Konzepten stets parat. Bleibt nur noch eine Frage offen: Was unterscheidet sie von der Grünen-Kandidatin Chantal Kopf? Beide sind jung und entschlossen, Matern von Marschall dieses Mal das Direktmandat zu nehmen. Die Antwort offenbart sich in einer Blitzrunde zum Kohleausstieg: „Der soll allerspätestens 2040 vollzogen sein“ sagt Söhne und sorgt damit für sichtbares Entsetzen bei ihrer grünen Sitznachbarin.
Chantal Kopf, Bündnis 90/Die Grünen
Chantal Kopf betritt die Bühne zum Klang von „Ein schöner Land“, eingesungen mehr oder minder professionell von ihren Parteikolleg*innen. Das sorgt für Erheiterung beim Publikum, welches zumindest zu Beginn der Veranstaltung laut Umfragen grünen-freundlich gestimmt ist. Wie es beim „Roast“ üblich ist, muss sie Sticheleien einstecken, die allerdings eher oberflächlich bleiben: Beispielsweise bezeichnet der Moderator sie als „toxisch gut gelauntes Gesicht der Grünen“, FDP-Kandidatin Claudia Raffelhüschen merkt an, dass sie ja Fleisch esse, obwohl sie grün sei. In Erklärungsnot gerät Kopf eher, als es um ihr „Nein“ zum bundesweiten Mietendeckel oder die Abschaffung privater Krankenversicherung geht. Ansonsten schwingt sie fröhlich grüne Wahlreden und fordert, mehr übers Klima zu reden. Sie stehe ja zu ihrer Partei, wie sie mit Seitenhieb auf Söhne sagt.
Claudia Raffelhüschen, FDP
Raffelhüschens Einzugslied „Money, Money, Money“ von ABBA mag zwar als Kritik ihres Wirtschaftsliberalismus gemeint sein, ist aber von allen Liedern das tanzbarste. Die FDP-Kandidatin kann über Porsche-Witze lachen und findet „alle Kandidierenden nett“. Wenn es um Wirtschaft geht, lässt sie jedoch nicht mit sich spaßen: Bei der Diskussion um Enteignungen schüttelt sie ungläubig den Kopf, später provoziert sie die linkere Seite des Podiums mit Aussagen wie „Millionäre sind zu wenig in diesem Land“ oder „Migration ist eine Frage der Qualifikation“. Warum sie in den Bundestag sollte? „Weil ich Ahnung habe“. Schließlich habe sie VWL studiert, und die anderen nicht. Ihr weiteres Totschlagargument: Im Gegensatz zur Grünen-Kandidatin Kopf habe sie Kinder, und somit einen Blick für zukünftige Generationen. Kinderlos geht das ja nicht!
Matern von Marschall, CDU
Als wäre der gefloppte Nazi-Witz über seinen Namen nicht genug, muss Matern von Marschall zum Stars-Wars-Song „Imperial March“ einlaufen. Auch nach dem anfänglichen Vorfall wird der Noch-Direktkandidat mit dem Format sowie den meisten anderen Gästen nicht ganz warm. Insbesondere die Ansichten des Linken Pflüger scheint er nicht zu ertragen, schlägt die Hände vors Gesicht. Im Direktaustausch der „alten weißen Männer“ wird er gefragt, was er an Pflüger schätzt und sagt diesem unverblümt: „Sie zeigen in allen Debatten, dass DIE LINKE nicht in Regierungsverantwortung sein sollte“. Lediglich mit FDP-Kandidatin Raffelhüschen verbündet er sich und bekennt, sich aus der Runde nur mit ihr ein Bündnis vorstellen zu können. Was man Matern von Marschall lassen muss: Er schätzt das verbleibende Emissionsbudget Deutschlands am exaktesten ein, er erinnert den Moderator ans Gendern: Es hieße „Millionär*INNEN“. Außerdem hat er das Prinzip des „Roasts“ verinnerlicht, teilt sogar gegen das Format selbst aus – es sei die „absehbarste und am schlechtesten moderierte“ Podiumsdiskussion, an der er bisher teilgenommen habe.
Ob die Veranstaltenden die Abrechnung des CDU-Kandidaten als Erfolg werten, sei dahingestellt. Sicher ist, dass das Event bei dem mehrheitlich jüngeren Publikum für rege Interaktion gesorgt und die Stimmung vor der Wahl ordentlich angeheizt hat – das war für alle Beteiligten im Saal und Online wohl spürbar.