Zeit fürs Bett
Guter Schlaf ist Gold wert. Gerade im Studium. Aber muss er immer lang sein? Wie viel ist zu viel, wie viel zu wenig und welche Tipps helfen, ihn erholsamer zu gestalten? Julia hat mit Expert*innen gesprochen und erfahren: Schlafentzug kann auch positive Effekte haben.
Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen und sollte eigentlich todmüde sein. Stattdessen spaziere ich umher. Vor mir liegt der Dietenbachsee. Nebelschwaden gleiten über seine Oberfläche. Erste Sonnenstrahlen treffen die Substanz und lassen sie milchig-gold schimmern. Während ich die Szene betrachte, fällt mir auf, wie intensiv ich sie heute erlebe. Als hätte der fehlende Schlaf meine Sinne belebt. Das hatte ich zuletzt nach dem Feiern. Komisch. Darauf muss ich meine Interviewpartner*innen ansprechen, die ich bald zum Thema Schlaf befragen werde.
Eine Stunde und zwei Kaffee später sitze ich aber erstmal an einer Eigenrecherche. Alle Benefits der nächtlichen Erholungsphase aufzuzählen würde wohl zehn Meter gescrollten Bildschirm kosten. Der Psychologe und Autor Matthew Walker bringt es in seinem TED-Talk „Sleep is your superpower“ auf den Punkt: Die nächtliche Erholung verbessert die Konzentrations-, Leistungs- und Merkfähigkeit, die körperliche und geistige Gesundheit, regeneriert und trägt zu einem längeren Leben bei. In seinem Vortrag sagt der englische Neurowissenschaftler außerdem, dass schon eine einzige Nacht von nur vier Stunden Schlaf unsere Antikörper am Folgetag um 70 Prozent senkt. Wer in der kalten Jahreszeit gesund bleiben will, sollte wohl nicht nur Tee trinken, sondern vor allem eins tun – gut schlafen.
Schlafdruck ist erwünscht
Leichter gesagt als getan. Viele Menschen leiden unter Schlafbeschwerden, unter ihnen auch viele Studierende. Die Junior-Professorin Dr. Monika Schönauer forscht an der Uni Freiburg über den Zusammenhang von Schlaf und Lernen. Sie weiß: Ein- und durchschlafen ist eine Herausforderung, der sich nächtlich viele Menschen stellen. Insomnie, wie behandlungsbedürftige Ein- und Durchschlafprobleme im Fachjargon heißen, beträfen sogar 10 Prozent der Gesamtbevölkerung.
„Betroffenen fehlt unter anderem der nötige Schlafdruck“, sagt Schönauer. Gemeint ist damit nicht der innere Druck, der sich aufbaut, wenn man versucht krampfhaft einzuschlafen, sondern die natürliche Ansammlung der ‚Schlafsubstanz‘ Adenosin im Blut. Sie sorgt für die gewünschte Müdigkeit am Tagesende, sodass wir zügig in den Schlaf gleiten. Schlafdruck ist also erwünscht. Gefördert wird er vor allem durch Sonnen- beziehungsweise Tageslicht und regelmäßige Bewegung, was gerade an kurzen Wintertagen, wie aktuell, wichtig sei, sagt die Expertin.
Auch Professor Dr. Dieter Riemann nimmt sich Zeit für ein Gespräch. Der renommierte Psychologe ist spezialisiert auf die Behandlung von Schlafstörungen durch Therapie und Pharmakotherapie, kennt sich also auch mit ergänzenden Medikamenten aus. Bereits seit ein paar Jahren ist er Gastprofessor an der Universität Oxford und Herausgeber des ‚Journal of Sleep Research‘. Kurz: Der Experte, wenn es um Tipps für besseren Schlaf geht.
Auf die Frage, wie viel nächtliche Erholung man wirklich benötige, nennt er durchschnittliche 6 bis 8 Stunden pro Nacht. Das individuelle Schlafbedürfnis sei genetisch verankert, ähnlich wie der Lerche-/Eule-Rhythmus. Man solle deshalb darauf achten, welches Pensum einen wirklich fit mache, rät Riemann.
Bei Schlafstörungen erst mal zum Hausarzt / zur Hausärztin
Er appelliert auch an die Selbsteinschätzung, wenn es um die Frage geht, ob man sich mit seinen Schlafbeschwerden in Therapie begeben solle. Laut Kriterienkatalog gelten zwar erst mindestens dreimal pro Woche auftretende und über drei Monate anhaltende Schlafstörungen als Grund, jedoch definiere der Betroffene letztlich selbst, ob er Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Gerade die Studienzeit, die junge Erwachsene fachlich, organisatorisch und zwischenmenschlich vor ungewohnte Herausforderungen stellt, sieht Riemann als „kritische Lebenssituation“, in der der gute Schlaf wichtig, jedoch auch schwer umsetzbar sei. Eine fehlende Routine im Hinblick auf Schlafdauer und -zeit während des Studiums sei hingegen unbedenklich. Sie könne im jungen Alter in der Regel gut ausgeglichen werden.
Erst wenn sich erholsamer Schlaf partout nicht einstelle oder (zusätzlich) durch Prüfungsangst vermindert werde, empfiehlt der Experte aktiv Maßnahmen zu ergreifen. Als „Lotsen im Gesundheitssystem“ seien hier Hausärzt*innen gefragt: Sie könnten körperliche Ursachen abklären und gegebenenfalls eine Überweisung zum Psychotherapeuten ausstellen.
Seit Neuestem profitieren Schlafsuchende zudem vom Leistungsangebot digitaler Gesundheitsanwendungen, die über die Krankenkasse abgerechnet werden. Apps, die Patient*innen verschrieben werden, können beispielsweise mit Entspannungstechniken, Videos und Tipps helfen, sagt Riemann und sieht das technische Novum als sinnvolles Ergänzungsangebot zu seiner Arbeit. Denn auch wenn sich der schlechte Ruf der Psychotherapeut*innen seit dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975) deutlich verbessert und zu einer tendenziellen Offenheit gewandelt habe, merkt Riemann an, dass längst nicht jede*r Patient*in freiwillig zu ihm komme.
Selbsthilfe ist möglich
Und was kann ich selbst tun, um besser zu schlafen? Dr. Schönauer rät bei der ‚Schlafhygiene‘ grundlegend zu ausreichend Bewegung und Tageslichtzufuhr im Alltag. Riemann sieht auch den Griff ins Drogeriemarkt-Regal – zu Helfern wie Baldrian und Melatonin – bei kleineren Schlafbeschwerden als legitimen ersten Schritt. Auch wenn die Wirkung der Inhaltsstoffe niederschwellig sei: „Placeboeffekt ist auch ein Effekt“.
Und wie steht es mit Mythen, die im Netz kursieren? Hier liest man von ungünstigen Schlafbedingungen bei Vollmond, in der Nähe von Wasseradern oder durch die falsche Ausrichtung des Bettes zum Erdmagnetfeld. Dr. Riemann klassifiziert derartige Annahmen als Mythen. Auch Hightech-Produkte wie 1.000-Euro-Matratzen müssen nicht sein, sagt er.
Vielmehr solle man dem individuellen Wohlbefinden Gehör schenken. Dieses stellt der Experte bei jeglichen Themen über ihren Ruf, vermeintliche ‚Schlafkiller‘ zu sein. „Mit Verallgemeinerungen tue ich mich da immer schwer“, sagt er. Ein paar generelle Tipps hat der Experte dann aber doch parat.
Die üblichen Verdächtigen: Alkohol, Koffein und Power-Naps
Kaffee ist Fitmacher Nummer eins vieler Studendierenden. Dennoch bleibe seine Einnahme nur bis etwa 15 Uhr ohne Einfluss auf den abendlich erwünschten Schlafdruck, sagt Riemann. Coffein wirke als Adenosin-Rezeptor-Blocker, verhindere also, dass sich dieser aufbaut. Das praktische Resultat ist wohl den meisten Studierenden bekannt. Bei diagnostizierter Insomnie sei Kaffee sogar ein klares Tabu, sagt Schönauer.
Besonders zu Beginn der Studienzeit kommt man auch an ihm oft nicht vorbei: Alkohol. Ein ‚Bierchen‘ oder ein Glas Wein am Abend, werden dabei oft als Einschlafhilfe gehandelt. Aber stimmt das? Tatsächlich ja, sagt Riemann. Aber: Erfolgreich in den Schlaf zu sinken sei das eine, erholsam und tief zu schlafen das andere. Alkohol, sei zu bedenken, sei eine überaus schädliche Substanz, deren Abbau auch zu Lasten der Schlafqualität geschehe. Die Nacht nach einem Rausch ist für den Körper also weniger erholsam, als sie sich anfühlt.
Power-Naps wirken ähnlich wie Coffein, erklärt Riemann. Sie reduzieren den Schlafdruck. Es gibt Kulturen und Personen, die daran gewöhnt sind und am Abend dennoch gut einschlafen. Wer allerdings überlegt, sich aus Gründen der täglichen (Gedächtnis-) Leistung den Mittagsschlaf anzugewöhnen, sollte das mit seiner nächtlichen Schlafqualität abwägen. Bei Insomnie gilt für Naps wie für Coffein: Lieber gleich weglassen.
Wärme
Die richtige Umgebungstemperatur beim Einschlafen, die der eingangs erwähnte Matt Walker als essentiell erachtet und diskutiert, erscheint Riemann weniger wichtig. Wenn es um die Füße geht, vertritt er jedoch einen klaren Kurs: Sie warm zu halten, fördere nachweislich einen besseren Schlaf. Socken erlaubt.
Friedliche Abendrituale
Gegen die Mediennutzung am Abend hat Riemann nichts. Er schaue selbst zu später Stunde noch fern. Das Handy aus- oder mindestens stumm zu schalten, erachtet er zwar als sinnvoll, jedoch zugunsten der mentalen Ruhe, weniger aufgrund der Schädlichkeit des ‚Elektrosmogs‘. Eine allgemeine Empfehlung spricht er erneut nicht aus. Wer der Typ Mensch sei, dessen Abendroutine aus Spotify-Hörbüchern bestehe, der könne dies subjektiv als Entspannung erleben.
Für Riemann gilt die Faustregel: Alles was guttut, ist es auch. Einzige Einschränkung (abgesehen vom Alkohol): Die Routine sollte Entspannung fördern und nicht emotional oder gedanklich aufwühlen. Ein Horrorfilm oder ein zu spannender Krimi sollten also unmittelbar vor dem Licht-aus-knipsen lieber dem Liebesroman oder der Netflix-Comedy-Serie weichen.
Müdigkeit abwarten
Und noch ein Tipp: Nicht ins Bett gehen, wenn man eigentlich noch fit ist. Klingt banal. Ist es auch. Mit der Idee, möglichst viele Stunden Schlaf aufzuholen, liegt der ein oder andere Kopfmensch oft früh im Bett. Dort wach zu liegen, fördere jedoch eine Gedankenspirale, speziell wenn man zu Schlafproblemen neige. Dann lieber wenig(er), dafür besser schlafen, empfiehlt Riemann.
Apropos wenig schlafen: Die beste Nachricht für Studierende kommt am Ende des Gesprächs. Ich berichte Dr. Riemann von meinem Morgen am See, den ich nach meiner schlaflosen Nacht so unglaublich schön fand. Tatsächlich berichtet er, dass deutsche Wissenschaftler*innen in den 1960ger Jahren über ein Phänomen gestolpert seien, das seither zur Behandlung schwerer Depressionen eingesetzt werde: Einmaliger Schlafentzug. Patient*innen werden dabei ein bis zweimal die Woche über Nacht wachgehalten. Der Effekt: Eine sofortige Stimmungsaufhellung über Tag. Auch wenn sie mit dem nächsten Schlaf wieder endet, sei ihre Wirkung erstaunlich: Dr. Riemann vergleicht sie mit der Einnahme starker Antidepressiva, Amphetamine oder Ecstasy. Der Effekt sei allerdings nur bei schwer depressiven Menschen nachgewiesen. Bei gesunden Menschen sei er bislang noch unerforscht.
Ich denke an meinen Morgen am See zurück. War das etwa ein Anflug dieses Effekts? Nächstes Mal achte ich ganz besonders auf ihn. Und ein ‚Nächstes-Mal‘ wird es sicher geben. Ob aus Lern- oder Freizeitstress – es ist ein Trost zu wissen, dass eine schlaflose Nacht zumindest meine Stimmung aufhellen kann.
Info
Wer Schlafprobleme hat, kann zunächst den Hausarzt/die Hausärztin aufsuchen. Er/sie kann körperliche Ursachen der Schlafbeschwerden abklären. Beim Hausarzt besteht auch die Möglichkeit per Rezept ein kostenfreies Online-Angebot in Form einer App oder eines Kurses zu erhalten, und / oder an Expert*innen überwiesen zu werden.
Teilnehmende für Schlaf-Studie gesucht
Professor Dr. Riemann ist Leiter einer aktuellen Studie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum in Freiburg. Für die Studie werden Teilnehmer*innen ab 18 Jahren gesucht, die seit mindestens drei Monaten schlecht ein- oder durchschlafen.
Wer teilnehmen möchte, kann sich per E-Mail an schlafstudie@uniklinik-freiburg.de melden.