Zwischen Rausch und Genialität
David Bowie ist mit Ziggy Stardust oder Major Tom bekannt für wechselnde Bühnencharaktere. Eine seiner Kunstfiguren fällt dabei aus dem Raster. In einer Phase der körperlichen und psychischen Selbstzerstörung erschafft er den “Thin White Duke”. Max von uniFM über die Entwicklung und Wirkung von Bowies letztem Alter Ego.
Dieser Text ist Teil der Themenwoche Rausch & Realität.
Nach seiner Young Americans-Tour, 1975, zieht Bowie zum Bassisten von Deep Purple, Glenn Hughes. Dessen Band ist häufig auf Tour, so hat Bowie die Villa in den Hollywood Hills die meiste Zeit für sich allein. Er steigert seinen Kokainkonsum auf bisher nicht dagewesene Höhen und ernährt sich nur von Milch, Paprika und Zigaretten, wodurch er stark an Gewicht verliert. In dieser Zeit leidet er vermehrt unter starken Psychosen, ausgelöst von Drogenkonsum und Isolation. Denn Bowie verlässt das Haus kaum und verzichtet auf langfristige soziale Kontakte. Stattdessen gehen Dealer und Groupies ein und aus.
„This day dragged past me so slowly, the days fell on their knees. Maybe I’ll take something to help me, hope someone takes after me“ – ‚Stay’
Der Rockstar hält sich über Tage und Wochen wach. Die Zeit, die er dadurch gewinnt, verbringt er neben Sex und Exzess vor allem mit lesen und musizieren. Er arbeitet überfokussiert, stundenlang an wenigen Takten, die er dann wieder verwirft. Die Bücher, die er liest, beschäftigen sich überwiegend mit Satanismus und Okkultem. Bowie beginnt, das Haus und sich selbst mit Pentagrammen zu schmücken. Tief in Depressionen gefangen treibt er seine Psyche an ihre Grenzen und vielleicht darüber hinaus. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb werden hier die Grundsteine für ein außergewöhnliches Album gelegt, das er nach der Aufnahme allerdings wieder vergessen wird. Schleichend entwickelt David Bowie seine mystischste, dunkelste und gefährlichste Kunstfigur: Den Thin White Duke.
Die Isolation endet, als der Regisseur Nicholas Roeg für seine Verfilmung von The Man Who Fell To Earth Bowie für die Hauptrolle engagiert. Regisseur und Musiker entwickeln gemeinsam die Rolle, die direkt auf den Sänger zugeschnitten wird. „Der Mann, der auf die Erde fiel“ ist ein reptiloides Alien. Unter dem Pseudonym “Mr. Newton” sucht es auf der Erde nach Wasser für seinen Heimatplaneten und steigt dabei zum Milliardär auf. Am Ende verfällt Newton jedoch Alkohol und Depressionen und mischt sich desillusioniert, reich, betrunken, perfekt gekleidet und niemals alternd unter die anonyme Masse der Menschen. Mr. Newton dient als Blaupause für die Entwicklung von Bowies neuem Bühnencharakter. Nach dem Dreh beginnt er das Album Station To Station, auf dem er seine Kunstfigur erstmals benennen wird.
„The return of the thin white duke, throwing darts in lover’s eyes“ – ‚Station To Station’
Der motivierte Künstler mietet sich in den Cherokee-Studios in LA ein. Der recht neue Studiokomplex bietet Möglichkeiten, die bis dato eher unüblich waren. Während der Sessions darf nach Belieben geraucht und getrunken werden. Zudem stehen die Räume rund um die Uhr zur Verfügung, oft wird um 4 Uhr nachts aufgenommen. Bald stellt Bowie ein Bett auf und richtet sich das Studio mit Kerzen, Räucherstäbchen und spirituellen Malereien ein. Er verfällt in akribische Arbeit an seiner neuen Musik, die durch den Dauerrausch befeuert wird. Seine Lieblingsmusik kommt zu dieser Zeit von den Krautrockbands Neu! und Kraftwerk. Die industriellen Klänge und die sich immer wiederholenden Basslines aus deren Musik finden sich zuhauf auf Station to Station wieder. Vielleicht bezieht er sich auf genau diese Einflüsse, wenn er von der “European Cannon“ singt.
„…the European Cannon is here“ – ‚Station To Station’
Sehr unangenehm klingt diese Zeile aber in Bezug auf Bowies vehement gesteigertes Interesse für den deutschen Faschismus. In Interviews fällt er vermehrt mit positiven Aussagen über Adolf Hitler und Nazi-Deutschland auf. Eine Geste zu seinen Fans wird als Hitlergruß interpretiert und hat einen großen Aufruhr in den Medien zufolge. Bowie distanziert sich später deutlich von faschistischen Einstellungen. Doch trotzdem, die Ästhetik die er für den Thin White Duke wählt, ruft in diesem Zusammenhang beunruhigende Assoziationen hervor. Das Albumcover und die LP sind in den NSDAP-Farben Schwarz, rot und weiß gehalten. Bowies voluminöser Vokuhila weicht wasserstoffblonden, streng zurückgegeelten Haaren und die schrillen Kostüme werden durch uniformelle Anzüge ersetzt. Eigentlich ein Schlag ins Gesicht für Alle, für die Bowie davor noch als revolutionärer Musiker Geschlechterrollen aufgebrochen hat. Doch obwohl das Album etwas verhalten angenommen wird, hält der Großteil der Fans zu ihm. Die Tour wird zum Riesenerfolg.
Im Nachhinein trägt der große Erfolg dazu bei, dass das Schaffen des Thin White Duke so widersprüchlich wirkt, wie die Figur selbst. Seine Ambivalenz macht ihn bis heute so mystisch. Viele Fragen nach nationalsozialistischem Gedankengut, musikalischen Einflüssen und psychischer Gesundheit bleiben offen. Was man aber weiß ist, dass sein desolater Zustand den Sänger dazu brachte, nach der Tour, 1976, eine dreijährige Reise nach Berlin anzutreten. Und dort begann seine wohl einflussreichste künstlerische Phase.
„We could be heroes, just for one day.“ – ‚Heroes‘
Der Thin White Duke blieb David Bowie’s letzte Kunstfigur, von der er sich nie offiziell losgesagt hat. Er hat nicht ganz durchblicken lassen, wie viel von ihm selbst im Duke steckte. Die Grenzen verschwimmen. Kryptische Anspielungen, Magersucht und Drogenkonsum tauchen in seiner folgenden Karriere immer wieder auf. Man kann nur mutmaßen, ob er eine Schwelle überschritten hat, von der es kein zurück mehr gab. Vielleicht hat der Duke ihn bis zuletzt begleitet.
„Something happened on the day he died. Spirit rose a metre and stepped aside. Somebody else took his place, and bravely cried. I’m a Blackstar“ – ‚Blackstar‘
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